Einfach Arbeitsrecht: Allgemeiner Kündigungsschutz Teil 4 –Motivkündigung & Sittenwidrigkeit

Goldene Waage der Justiz und aufgeschlagene Gesetzbücher auf hellem Holztisch, Symbol für Arbeitsrecht und juristische Beratung Kündigungsschutz

Hanns D. Hügel, Iris Margetich

Erstellt am 4. Juli 2025

Wir haben bereits über die Motivkündigung im Detail gesprochen. Heute geht es um das Zusammenspiel dieser mit der allgemeinen Sittenwidrigkeit einer Kündigung gemäß § 879 ABGB.

Abgrenzung und Zusammenhang zwischen der Motivkündigung & der Sittenwidrigkeit

Eine Motivkündigung (§ 105 Abs 3 Z 1 ArbVG) liegt vor, wenn die Kündigung aus einem verbotenen Grund heraus erfolgt ist. Wenn das der Fall ist, dann kann eine solche Kündigung von der Arbeitnehmer:in angefochten werden. Davon ist die Sittenwidrigkeit einer Kündigung gem § 879 ABGB zu unterscheiden. Die Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn eine Arbeitgeber:in aus gänzlich unsachlichen und insbesondere aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligenden Motiven (zB aufgrund des Religionsbekenntnisses oder der politischen Einstellung der Arbeitnehmer:in) die Kündigung ausspricht.

 

Die im § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG aufgezählten verpönten Motive würden ohne ausdrückliche Erwähnung grundsätzlich zur Sittenwidrigkeit gemäß § 879 ABGB und damit zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führen. Die Lehre und Rechtsprechung haben daher abgeleitet, dass die speziellere Norm des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG der allgemeinen Norm des § 879 ABGB vor geht und daher Letztere nicht zur Anwendung kommt. Das bedeutet, wenn ein Kündigungsmotiv unter die Anfechtungstatbestände des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG fällt, dann kann sich die Arbeitnehmer:in nicht auf die Sittenwidrigkeit berufen.

 

Durch die Anwendung der spezielleren Norm des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG wird die Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Arbeitgeber:in aber nicht verneint – sie ist vielmehr die Rechtsfolge einer gerechtfertigten Anfechtung der Motivkündigung (OGH 9 Ob A70/22t). Die Arbeitnehmer:in wird durch die Anfechtung aufgrund der spezielleren Norm auch nicht schlechter gestellt, sondern sogar besser (zB Beweiserleichterung gemäß § 105 Abs 5 ArbVG).

 

Anfechtung wegen Sittenwidrigkeit außerhalb des Anwendungsbereichs des § 105 ArbVG

Die Anfechtung wegen einer Motivkündigung kann nur von Arbeitnehmer:innen in Anspruch genommen werden, die unter den Anwendungsbereich des ArbVG und unter den Schutz des Allgemeinen Kündigungsschutzes gemäß § 105 ArbVG fallen (siehe dazu „Allgemeiner Kündigungsschutz“). Daher bleibt die Anfechtung einer Kündigung aufgrund der Sittenwidrigkeit gemäß § 879 ABGB jedenfalls für Arbeitnehmer:innen bestehen, die nicht in diesen Geltungsbereich fallen. Ein wesentlicher Unterschied zur Motivkündigung ist außerdem, dass eine gegen § 879 ABGB verstoßende Kündigung nicht anfechtbar, sondern nichtig ist und daher für die Arbeitnehmer:in den Vorteil hat, dass die Anfechtungsfrist des § 105 Abs 4 ArbVG (14 Tage ab Zustellung der Kündigung) nicht zu beachten ist.

 

Was passiert, wenn ich mich in einer Klage wegen Kündigungsanfechtung auf die Sittenwidrigkeit gemäß § 879 ABGB stütze, obwohl ein Fall der Motivkündigung gemäß § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG vorliegt?

Grundsätzlich kann sich jemand, für den der Allgemeine Kündigungsschutz des § 105 ArbVG anwendbar ist, nur auf die spezielle Norm stützen und nicht wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 879 ABGB anfechten. Daher wäre eine Klage gestützt auf § 879 ABGB unzulässig und abzuweisen.

 

Der OGH hat aber entschieden, dass es bei einer Kündigungsanfechtung in einem solchen Fall auf die konkrete Formulierung des Klagebegehren ankommt. Das Klagebegehren ist nämlich so zu verstehen, wie es im Zusammenhang mit der Klageerklärung vom Kläger gemeint ist. Das bedeutet, der Klagegrund (zB die Kündigung aufgrund vernachlässigter Fürsorgepflicht: OGH 8 Ob A53/14y) ist das tatsächliche Vorbringen, nicht die rechtliche Beurteilung. Wenn also aus dem Klagevorbringen hervorgeht, dass der Sachverhalt vom Kläger offenbar rechtlich unrichtig qualifiziert wurde (zB als Sittenwidrigkeit statt Motivkündigung), dann ist das bedeutungslos.

Nur dann, wenn das Klagebegehren ausdrücklich und ausschließlich auf einen bestimmten Rechtsgrund beschränkt wurde – was im Zweifel aber nicht anzunehmen ist – dann ist es dem Gericht nicht gestattet, dem Begehren aus anderen Gründen stattzugeben. Es ist wieder darauf hinzuweisen, dass im konkreten Einzelfall zu beurteilen ist.

 

 

 

 

 

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